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Mandelstams Poetik des Gehens

Veröffentlicht in dem Sammelband „Kopflandschaften – Landschaftsgänge: Kulturgeschichte und Poetik des Spaziergangs“ hg. v. Helmut J. Schneider u. a., Wien 2007


Ossip Mandelstam dichtete im Gehen. Nicht am Schreibtisch, sondern auf Spaziergängen entstanden viele seiner Gedichte. „Wenn O. M. dichtete, hatte er immer das Bedürfnis, sich dabei zu bewegen. Er ging im Zimmer auf und ab [...]; oft lief er auf den Hof hinaus, in den Garten, auf den Boulevard oder schlenderte durch die Straßen. [...] Für O. M. gehörten Dichtung und Bewegung, Gedichte und Umherwandern zusammen.“ Dass es sich um Spaziergänge handelte, die anders als das Wandern nicht den geschlossenen Raum durchbrechen, sondern auf denen der Gehende den Raum in seiner Begrenztheit durchläuft, machen die Worte aus den Memoiren von Mandelstams Frau, Nadeschda Mandelstam, deutlich. Doch die Bemerkung, beschreibt mehr als nur eine Äußerlichkeit. Dichtung entsteht für Mandelstam nicht nur beim Spazierengehen, sie ist ihrerseits eine Form der Bewegung. Sein Essay Gespräch über Dante gibt die Facetten einer Dichtung zu erkennen, deren Kennzeichen es ist, „immer unterwegs zu sein.“ Dabei geht es weniger darum, dass der Spaziergang ein Strukturmodell für einzelne ………………………………………